Dienstag, 1. September 2015

Wie man mit schlechten Wettervorhersagen umgeht

Tja. Schlechtes Wetter ist schon in tiefer liegenden Gegenden nicht wirklich ein Vergnügen. In den Bergen ist es aber schlicht und ergreifend doppelt so mies. Auf 2.500 Metern in einen Regenguss bei 8 Grad zu kommen ist nun wirklich etwas, was ich nicht erleben will. Das schreit förmlich nach Krankheit. Okay, gut. Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung. Das Argument lasse ich gelten. Nur leider sind auch noch Gewitter angesagt. Das macht es unmöglich morgen zu fahren. Und vielleicht auch übermorgen. Schauen wir mal. Auf jeden Fall war damit heute morgen klar, dass es morgen, am Mittwoch, keine Tour geben wird. Nicht im Vinschgau. Nicht im Veltlin. Nicht in Österreich und auch nicht weiter im Osten. Anscheinend ist eine ziemlich große und schwarze Wolke über uns. Also dachte ich mir heute morgen: "Alles oder nichts."

6:30 klingelte der Wecker. 6:50 war ich aus dem Bett - nachdem ich gestern schon um 3 Uhr aufgestanden war und 850 Kilometern in den Beinen hatte (höhöhöhö), war es wirklich eine Überwindung. Aber das Stilfserjoch wartete. 7:10 auf dem Rad. 7:15 an der Bäckerei und mit gefüllten Croissants eingedeckt. Frühstück im Hotel begann erst um 7:30 - zu spät, zumindest heute, bei meinem Plan. Ach ja, der Plan: Rauf zum Stilfserjoch, runter in die Schweiz über den Umbrailpass, hinauf zum Ofenpass, wieder zurück und rauf auf den Umbrailpass, runter und durch's Tal wieder nach Prag mit Abstecher zu den Lichtenberger-Höfen.

Das Stilfserjoch ist schon ein Mythos. L'Alpe d'Huez auch. Das hat mich enttäuscht. Ob mich das Stilfserjoch enttäuscht hat, ist schwer zu sagen, da es die Umstände waren, die meine Meinung zum negativen wenden.

In Prad ging es los. Ich wusste, dass es zwei Städte gibt: Gomagoi auf 1267 Höhenmeter und danach Trafoi auf 1543 Metern. Ich muss gestehen: Ich hab das Profil am Abend vorher auf quaeldich angestarrt. Hängen geblieben ist viel, aber nach der Tour, es ist wie in Trance fahren. Links die Berge, vor einem Straße, man hört das eigene Herz pochen, konzentriert sich auf's Fahren, ansonsten auf die Landschaft um einen herum. Insofern ziehe ich besser mal das Profil und die Beschreibung heran, um die eigenen Erinnerungen wieder aufzufrischen.

Bis Trafoi ist der Weg vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es relativ gerade einfach nur bergauf geht. Gibt schlimmeres. Zumal sich, nach dem Wechsel über die Brücke - wenn ich mich richtig erinnere, heißt sie (sehr kreativ), Stilfserbrücke - zur Linken des Fahrers das Massiv um den Ortler erstreckt. Ein herrlicher Anblick. Die schroffen Felsen, der Gletscher, der Dunst, der am Morgen am aufsteigt... Ich habe es versucht beim Fahren zu fotografieren - andere Bilder wird es selten von mir geben, wenn ich bergauf fahre, dann fahre ich und bin voll konzentriert - ich glaube aber nicht, dass das Foto das so einfängt, wie ich es erlebt habe. Wie es jeder selbst erlebt. Das besondere liegt im Moment, im eigenen Sehen, im eigenen Erleben. Es ist schwer, das anderen zu vermitteln. Fotos können schön sein, aber niemals so sein, wie das eigenen erlebte. Okay, genug philosophiert:

Foto wurde etwas früher als beschrieben gemacht, aber dieser Anblick erhebt sich dann zur Linken!


Nach Trafoi geht es dann wirklich los. Die Kehren kommen. Scheiß auf L'Alpe d'Huez, 21 Kehren. Das ich nicht lache. 48 warten hier auf einen. Die ersten führen einen in einen Wald. Aus diesem kommt man heraus vor der Franzenshöhe, wenn ich das richtig im Kopf habe. Hier kriegt man auch den ersten Blick auf die letzten Kehren. Dazu später mehr. Der Weg durch den Wald war ruhig, entspannt. Gut, es ging kräftig bergauf, aber es war schön. Eine Kehre jagte die andere, mal eine längere Gerade, dann wieder eine Kehre. Links der Ortler. Immer noch. Dunst, der aufsteigt. Ruhe. Ungeahnte Ruhe. Selten so eine Ruhe erlebt. Vor allem am frühen morgen, bis etwa 8:30-9:00. Dann fingen Autos an, die Strecke zu nutzen. Sollen sie, alles gut. Ab und zu ein Oldtimer. Gibt schlimmeres als schöne Autos zu gucken!

Bei der Franzenhöhe habe ich ein Foto gemacht. Mein einziger Gedanke war "Oh shit.". Man muss sich das einmal vorstellen: Da fährt man knapp 14.5 Kilometer, auf knappe 2.000 Höhenmeter und sieht diese in den Stein gehauenen Kehren, die sich eng nach oben schrauben wie ein Korkenzieher und man fängt an zu rechnen: "Gut. Die Passhöhe liegt auf 2.757 Höhenmeter. Ich bin jetzt bei ca. 1.800, habe knapp 15 Kilometer in den Beinen. Weniger als 10 Kilometer, vor mir, noch knapp 1.000 Höhenmeter zu machen." Einziger Gedanken: "Das wird weh tun."

Die Sonne verzog sich zum Ende des Tages leider, aber am Vormittag war sie da! Hier der Beweis - mit dem herrlichen Blick auf die Kehren vor der Passhöhe und der Franzenhöhe linkerhand!

Dann begann leider der negative Teil des Tages: eine britische Oldtimerfraktion - die, die ich im Wald noch bewundert habe, weil es nur 3-4 Wagen waren - machte anscheinend ein Rennen nach oben. Dutzende Oldtimer überholen mich und vor allem in den Kurven war das eklig: Abbremsen, Vollgas geben, Benzingestank. Wenn ich momentan an die letzten 10 Kilometer des Stelvio denke, kommt mir der verdammte Geruch von Benzin in die Nase. Davon abgesehen, war die Fahrt geil. Kann man nicht anders sagen. Aber diese verdammten Oldtimer: Danke auch an den Idioten, der mir den Stinkefinger gezeigt hat, nur, weil ich nicht ganz außen gefahren bin und ihm die Ideallinie zerstört habe. Ich hoffe, du hast einen Getriebeschaden und dein geliebter Oldtimer muss teuer restauriert werden!

Oben angekommen offenbarte sich nicht die Mähr vom "höchsten Rummelplatz". Okay, ich war kurz nach 10 oben, wahrscheinlich eine gute Zeit. Ein Stand neben dem anderen, an welchem Souvenirs gekauft werden können (haben mich irgendwie nicht so überzeugt, obwohl ich willig war!), Stände an denen man etwas zu essen kaufen konnte und ein tolles, bis zur Unkenntlichkeit verklebtes Passschild... Hab dann die Variante vor dem Gedenkschild zu Ehren von Fausto Coppi gewählt (Warum nicht Bartali?!):

Zugeklebtes Schild - leider! Samt Schleichwerbung für das Canyon Endurace Cf 9.0 - ein Fahrrad, wie man es sonst nicht sieht, perfekter Komfort, stabile Lage bergab! Verdammt. Zu offensichtlich?

Nicht gerade fotogen. Aber hinter meinem Rücken verstecke ich meine dünne Jacke,  Den Namen "Coppi" habe ich natürlich verdeckt... 

Runter ging es dann in Richtung Umbrail, weiter ins Tal und Richtung Ofenpass. Wenn schon, denn schon. Über 2.000 Meter ist definitiv anfahrenswert. Der Weg ist dreigeteilt: Zunächst geht es recht flach voran, bevor eine erste Steigung nach Valcheva kommt und knappe 2 Kilometer lang ist. Die ganze Zeit schaut man auf einen Spalt zwischen zwei Bergen und ich dachte so: "Da muss ich hin!" Und so war es auch. Doch zunächst wieder etwas flacher, erst nach Tscherv - und einem rettenden Brunnen, um die langsam aber sicher leer werdenden Flaschen mit kühlem Wasser nachzufüllen - geht es wieder richtig rund. Bis zum Ende. Knapp 5 Kilometer von 1.700 Höhenmeter auf 2.149 Höhenmeter. Schöne Strecke, vor allem deshalb, weil es viele Gerade gibt und man denkt "Das muss ich hinterher wieder runter!". Gen Ende kommen ein paar Kehren, schön ausgebaut und die Passhöhe kommt immer näher. Oben hat man einen schönen Ausblick und ich ließ mich neben dem Passschild nieder, um mein letztes Croissant zu essen. Ich hab ein paar Fotos von Fahrradfahrern gemacht, wurde selbst fotografiert, so, wie es sein soll. Wir Radfahrer sind halt eine Gemeinschaft:

Blick in Richtung Passhöhe (denke ich... Es ist immer schwierig nachzuvollziehen, wo genau das jetzt war... :D)

Das weiß ich aber! Selbsterklärend, oder?

Blick auf die Kehren des Ofenpasses. 


Runter in Richtung Müstair kann man das Rad schön laufen lassen, doch die letzten zwei Kilometer rauf zum Ofenpass haben mir gezeigt, dass ich etwas dringend brauche: Essen. Langsam wurden die Beine schlapp, Und ich wollte noch mindestens den Umbrail fahren. Also ließ ich mich in einem Café nieder und aß ein Bauernbrot, die Preise in der Schweiz sind schon gesalzen, auch wenn es vorzüglich war!

Nun ging es hinauf. Direkt mit mindestens 8%. Ich habe von der Abfahrt nichts erzählt, da ich das Ding ja auch noch raufgefahren bin. Und verdammt, so viel Spaß es macht, den Umbrailpass runterzuknüppeln, so schlimm ist es ihn heraufzufahren. Steil, verdammt steil - vor allem, wenn man vorher den Stelvio und den Ofenpass gefahren ist. Selbstmörderisch, geradezu. Nach Kilometer 4.8 hat man die ersten Kehren hinter sich gebracht. Mit schönem Blick auf das Tal, einen Bergbach, die Kehren unter einem. Die liefen noch ganz gut, dennoch beneidete ich die Straßenarbeiter, die mal eben in meiner Abwesenheit 100m Straße geteert haben, und sich nun ihrer Pause widmeten, in der Sonne lagen und es sich - zumindest zu diesem Zeitpunkt - gut gehen ließen.


Nach den Kehren begann allerdings der Wahnsinn. Die langen Gerade, die beim Abfahren richtig Spaß machen, sind bergauf eher scheiße. Um es nett auszudrücken. Langsam quälte ich mich Stück für Stück bergauf und mir kamen die Worte aus dem Frankreich-Urlaub ins Ohr: "Jeder hat mal eine schwache Phase!" Ich hatte sie am Umbrailpass. Eine Woche zu spät. Ich hätte gerne jemanden gehabt, der mir in den Arsch tritt. Aber es half alles nichts, rauf geht's. Wenigstens wurde mit jedem Höhenmeter die Landschaft rauer und schöner. Das Beste: das Kuhglockengeläute, dass sich durch die Schlucht zur Linken zieht und kilometerweit zu vernehmen ist - so fährt man gerne: ruhig und im Einklang der Natur. Warum fahren wir sonst Fahrrad? Draußen? In der Natur? Sonst könnten wir auch einfach auf der Rolle unsere Kilometer spulen. Hier ein Blick auf die langen Geraden:

Bergauf: anstrengend, herausfordernd, ambivalent.
Bergab: geil, schell, schmal, gut einsehbar und: Ich will mehr!


Nach den letzten Kehren, die gut und gerne mal unter 10% fallen und zwischen sich auch mal erdreisten die 15% zu erreichen, erreicht man die Passhöhe. Zur Linken sah ich dann auch die Kühe friedlich am Hang weiden. Herrlicher Anblick. Weiter oben konnte man die Passhöhe des Stelvio sehen. Kurz fragte ich mich, ob ich sie vielleicht noch mitnehmen solle und dann runter fahren solle? Guter Witz. Zuerst oben das Foto des Schildes gemacht, dann ab in das dortige Wirtshaus, Refugium, was auch immer, in die Nähe des Kamins gesetzt und eine Cola bestellt. Das Wetter draußen wurde leider zunehmend schlechter. Wolken, Temperatursturz, leichter Fisselregen. War sehr angenehm in der Hütte...

Der Blick vom Umbrailpass auf die Passhöhe des Stilfserjochs - schöne Landschaft!
Irgendwann löste ich mich dann doch aus dem schönen, warmen Haus und fuhr herab (schöne Abfahrt - die langen Geraden sind echt toll!) und durch das Münstertal nach Prad. Fast durchgehend bergab. Die ersten 14 Kilometer mit einem Schnitt von fast 38, von Gurns nach Prato mit einem 30er Schnitt. In Prad juckelte ich dann noch ein wenig herum, auf der Suche nach einem Laden, der mir ein Fahrradschloss verkauft. Der Schuppen hier ist gut, aber... Vertrauen ist, Kontrolle besser. Übrigens: das Münstertal ist recht schön:


Das war die... "Innenstadt"? Von Müstair. Jedenfalls fährt man durch eine enge Gasse an den Gebäuden entlang. Und ja, dort gibt es auch schönere Gebäude als hier - bin leider erst am Ende der Gasse dazu gekommen, ein Foto zu machen, da ein Laster meine Aufmerksamkeit erforderte!
Kurz nach dem obigen Bild auf der Straße. Oder kurz davor. Bin mir nicht sicher... Jedenfalls gut ausgebaut, netter Asphalt und ein schöner Blick auf das noch schönere Vinschgau, zumindest, was die Sonne angeht. Bis ich da war, war die Sonne aber auch wieder weg...

Ich war sehr froh, endlich wieder im Hotel zu sein, die Beine waren... nicht mehr 1A. Im Ausdauerbereich war gut (mit einer gewissen Neigung der Straße), alles was in Richtung Kraftausdauer ging... Nicht so der Renner. Wird Zeit für Hanteltraining und Intervalltraining auf der Rolle.

Am Ende standen 119,7 Kilometer - 300 Meter mehr und ich hätte das Abzeichen von STRAVA für die Granfondo (VERDAMMT!) - 3.735 Höhenmeter und insgesamt 10 Stunden unterwegs, 7:34 davon in Bewegung. Aua. Vor allem der Durchschnittsspuls von 151 und die fast 4.000 verbrannten Kalorien. Aber ein super Tempotraining laut Strava! Und laut Polar auch, die mir dazu noch sagt, dass ich diese Tour Sonntag gegen 10:00 verarbeitet habe... Fühlt sich auch so an!

Fazit der Tour oder auch "tl;dr" genannt:
Stilfserjoch toll, aber nicht der Mythos. Beziehungsweise, der Mythosstatus ist das Problem: Sehr viele Autofahrer. Aber auch Momentaufnahme!
Ofenpass definitiv schön, einen Ausflug wert. Abfahrt schön, viele Gerade, guter Asphalt! Recht wenig los.
Umbrailpass: Herrlich! Schöne Landschaft, raue Gegend, aber auch sehr steil. Mein Geheimtipp und wenn ich jetzt die Wahl hätte: Lieber Umbrail als Stilfserjoch.

Wenn ich mich abgeregt habe, dann fahre ich das Stilfserjoch sicher noch mal. Bei der nächsten Gelegenheit. Es ist einfach eine geile Herausforderung, rein von den Werten her!

P.S.: Ups, der Bericht ist ausgeartet!

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